Kunst als Startup
Neulich bekam ich Besuch von Sabine, einer jungen Dame mit langen blonden Haaren. Ich hatte sie mir im Internet ausgesucht, und kaum hatten wir uns begrüßt, verschwanden wir schon im Schlafzimmer. Nein, sie zog sich nicht aus, legte nur ihren Mantel ab und trug darunter ein grünes, eng anliegendes T-Shirt, auf dem in Pink stand: www.gluecklich-raeumen.de. Das war die Web-Adresse, bei der ich Sabine bestellt hatte. Eine Aufräum-Agentur vielleicht ja die letzte Rettung für mein etwas verwahrlostes Zimmer? Tatsächlich: Sabine zögerte keinen Moment, griff energisch in den ersten Haufen, trennte Zeitschriften, Zeitungen und sonstiges Papier und verlangsamte ihr Tempo nicht, als ich dazwischensprang, um nach einem lange vermißten Artikel zu greifen, der da plötzlich auftauchte. Bald entdeckte ich noch anderes, was mir wichtig schien, und übernahm die Feinsortierung der Stapel, die Sabine bildete. Vieles landete auch im Papierkorb und, als dieser überquoll, in einer eilig aufgestellen Kiste daneben. Nach nicht einmal einer Stunde war alles vorüber, der Teppichboden freigelegt und ich das, was die Aufschrift auf dem T-Shirt verhieß: glücklich über so viel Ordnung!
Eine pfiffige Idee unserer ausufernden Dienstleistungsgesellschaft, wird mancher sagen, und andere erinnern sich, schon von einem ähnlichen Service professioneller Aufräumer gehört zu haben. Doch darum handelte es sich hier nicht; vielmehr wurde mein Schlafzimmer zum Schauplatz eines Kunstprojekts: Aufräumen als Gestaltung und skulpturale Tätigkeit dies war der Gedanke der Münchner Künstlerin Stephanie Senge. Sie machte einige Ordnungs-Freaks unterschiedlichen Alters und Geschlechts ausfindig, die sich nun via Internet ordern lassen, um bei anderen Leuten aufzuräumen. Eine Corporate Identity für das junge Kunst-Unternehmen wurde geschaffen, und auch sonst unterscheidet sich das Projekt kaum von anderen Startups. Im Unterschied zur 'Service-Kunst', die seit Mitte der 90er Jahre boomt, handelt es sich hier also um keine bloße 'Als-ob'-Dienstleistung, d. h. nicht nur um das Ritual bzw. die Form einer Handlung; genauso wenig ist es ein an sich absurdes, unter Bedingungen des Markts von vornherein chancenloses Unterfangen.
Daher ist der Vergleich mit Startups durchaus berechtigt (und das nicht nur, weil diese ihrerseits oft in Bereichen experimentieren, die bisher fernab des Markts lagen). Tatsächlich ist zu beobachten, wie eine Startup-Euphorie inzwischen auf Kunstakademien und junge Künstler übergreift: Teams und Netzwerke von Künstlern bilden sich, die kaum noch Berührungsängste haben weder untereinander noch gegenüber anderen Bereichen der Gesellschaft. Wo noch vor einigen Jahren die Autonomie zum unveräußerlichen Glaubensbekenntnis gehörte, sehen viele Künstler dies mittlerweile lockerer. Daher ist es auch erstmals möglich, sich an Leitbildern aus kunstfernen Berufssparten wie der Wirtschaft zu orientieren. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Kunst umgekehrt jahrzehntelang einseitig vielen Unternehmern und Managern zum Vergleich diente, um ihre Arbeit in attraktiverem Licht erscheinen zu lassen.
So hob der später von der RAF ermordete Bankier Jürgen Ponto in einer berühmten Rede vor dem Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft 1973 hervor, daß Künstler und Unternehmer durch ihren Gestaltungswillen, aber auch durch die Bereitschaft zu existenziellem Risiko miteinander verbunden seien. Damals empfanden viele Künstler solche Reden noch als den Versuch einer feindlichen Übernahme, wollten sie doch mit niemandem so ungern verglichen werden wie mit Kapitalisten, die es rein auf das ökonomisch Zweckmäßige abgesehen haben. Auch als Lothar Späth seit Anfang der 90er Jahre den Künstler immer wieder als Vorbild für den Unternehmer darstellte, erntete er dafür in der Kunstwelt meist skeptische oder gar mißbilligende Blicke. Daß er nur von der Aura der Kunst profitieren wollte, galt als ausgemacht. Doch mittlerweile verfügt nicht nur die Kunst über ein hervorragendes Image, das sie zum begehrten Sammelobjekt, zum Statussymbol oder eben zum Leitbild werden läßt, sondern auch die Wirtschaft erfreut sich, nach dem Wegfall des kommunistischen Systemgegners, zunehmender Akzeptanz. Ihr Image ist auf einmal so gut geworden, daß sie ihrerseits als Avantgarde wirkt und selbst noch Künstler neugierig macht; einige fühlen sich plötzlich geschmeichelt, wenn man sie mit Unternehmern vergleicht.
Das Wertschätzungs-Verhältnis zwischen Wirtschaft und Kunst verliert also seine Asymmetrie, was im übrigen gerade die Vertreter der Wirtschaft vor eine neue Situation stellt: Hatten sie sich mit Kunst immer auch beschäftigt, weil sie daran das Fremde und schroff Andere, die unbürgerlich-radikale Spielart ihres eigenen Tuns faszinierte, müssen sie sich nun darauf einstellen, daß viele Künstler die Differenz gar nicht mehr suchen. Statt mit expressiv-grellen Bildern oder materialstarken Skulpturen gehen sie lieber mit Hochglanz-Flyern, Anzeigen und einem eigenen Logo an die Öffentlichkeit. Das macht sie für manches Unternehmen beinahe schon zur Konkurrenz, wobei ihnen die Unübersichtlichkeit der New Economy und die postmoderne Lust zur Grenzüberschreitung zugute kommt.
Selbst auf ihrem ureigenen Feld dem Kunst-Sponsoring bleibt die Wirtschaft nicht mehr für sich. So treten die "Ingold Airlines" (www.ingoldairlines.com), die das wohl erste Kunst-Unternehmen waren und bereits seit 1996 als AG firmieren, mittlerweile als official carrier der Art Frankfurt auf; ähnlich hat das junge dot.com-Unternehmen "smilecard" nicht nur die erste Kreditkarte für die Währung 'Lächeln' anzubieten, sondern rühmt sich auf seinen Internet-Seiten, einen erheblichen Teil der Unternehmensaktivitäten in Sponsoring zu stecken. Tatsächlich werden die Gesellschafter von "smilecard" sowohl Kunst- als auch Kulturwirtschafts- und Psychologiestudenten bei Ausstellungen nicht als Künstler, sondern als Sponsoren geführt, halten Begrüßungsreden im Dreiteiler und sorgen dafür, daß eifrig über das Wechselverhältnis von Kunst und Wirtschaft diskutiert wird. Dabei geht ihr Interesse über Parodie oder Mimikry hinaus; vielmehr ist es ihr Ziel, neue Formen eines Crossover künstlerischer und unternehmerischer Aktivitäten zu entwickeln.
Einige 'echte' Unternehmer nehmen die Herausforderung auch an und nutzen ihrerseits die durchlässig gewordenen Grenzen zwischen Kunst und Wirtschaft; so arbeitet Patrick Gruban, Vorstand des Software-Unternehmens Cassiopeia AG (www.cassiopeia.com), mit Künstlern und Designern zusammen, um neue Konzepte für communities zu entwickeln, die sich dann etwa auf die Büroorganisation übertragen lassen. Galerieräume werden da auf einmal zu Experimentierwerkstätten, wobei Gruban als Kurator und nicht mehr als traditioneller Sponsor tätig ist. Angesichts solcher Trends stellt sich nur noch die Frage, ob Künstler künftig als externe Kreativitätsabteilung von Unternehmen fungieren oder ob sie mit diesen nicht lieber gleich fusionieren sollten.
Wolfgang Ullrich, 2001 |
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