Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich willkommen zur Verleihung des "Preises für Konsumräume 2003"! Herzlich willkommen am Ort eines der Preisträger und damit in einem der bemerkenswertesten Konsumräume Münchens!
Dieser Preis wird nicht von einem Verband für Innenarchitektur, von keiner Handelskammer und auch von keinem Verein für besonderes Design verliehen sondern von zwei jungen Künstlern, von Stephanie Senge und Rupert Hofmann.
Das mag überraschen, denn üblicherweise sind es ja Künstler, die darauf hoffen, Preise verliehen zu bekommen und sie sind es, die sonst umgekehrt bei Unternehmen darum bitten, eine Förderung zu erhalten oder gesponsort zu werden.
Dieser Preis steht jedoch unter der Losung "Kunst für Konsum" und damit ist klar formuliert oder zumindest eindeutig behauptet, daß der Kunstbereich dem Konsumbereich etwas geben kann. Doch was können zwei junge Künstler einem Laden und gar einer großen Kette wie Kookai geben?
Hinter dem Projekt "Kunst für Konsum" steckt die Einsicht, daß der Kunst in unserer Kultur ein besonders hoher Status zukommt, ja daß kaum etwas so viel gesellschaftliches Ansehen genießt wie sie, der man mit Ehrfurcht und Bewunderung, oft auch mit Scheu und gewisser Verlegenheit begegnet. Entsprechend eignet sich die Kunst auch als Statusymbol und viele hätten gerne selbst etwas von dem Nimbus, ja von der besonderen Aura, die die Kunst besitzt.
Die einen fangen deshalb an zu malen, um sich auch ein bißchen als Künstler fühlen zu dürfen; andere beginnen damit, die Orte der Kunst (Museen, Galerien etc.) aufzusuchen, um von der Atmosphäre des Elitären zu partizipieren, und einige setzen auch Geld dafür ein, um in die Nähe der Kunst zu kommen: Sie werden Sammler oder Sponsoren, die darauf hoffen, daß auf ihre Person oder ihr Unternehmen etwas vom Glanz der Kunst ausstrahlt.
Für Künstler ist das nicht selten ein Problem, da sie spüren, daß es kaum einmal speziell um sie um ihre individuelle Arbeit geht, sondern nur ganz allgemein um die Aura der Kunst, die da gekauft oder zumindest geborgt werden soll, ja an der ein gesteigertes Interesse besteht. So fühlen sie sich, gerade wenn sie gesponsort werden, vielleicht trotzdem ausgebeutet oder instrumentalisiert, sozusagen als Opfer einer durchaus freundlich gemeinten Übernahme. Stephanie Senge und Rupert Hofmann kamen daher auf die Idee, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und (in einem Akt der Selbstbehauptung) zu überlegen, wen oder was sie denn gerne von der Aura der Kunst profitieren lassen würden. Die Frage war also: Wer hat eine Aufwertung durch die Kunst verdient? Wem könnte man im Namen der Kunst einen Preis verleihen?
Daß die Wahl auf Konsumräume gefallen ist, mag damit zu tun haben, daß beide Künstler sich in ihren bisherigen Arbeiten schon öfters mit Themen wie Einkaufen und Markenkultur befaßt haben. Eine Rolle spielte jedoch auch eine These des Kunsttheoretikers Boris Groys, der vor einigen Jahren einen Aufsatz mit dem Titel "Der Künstler als Konsument" schrieb.
Darin zeigt Groys auf, daß in der Moderne Kunst zunehmend weniger in bestimmten Produktionsweisen, sondern vielmehr in einem spezifischen Konsumverhalten besteht. Künstler sind oft nicht mehr diejenigen, die selbst etwas Materielles (ein Bild, eine Skulptur etc.) herstellen, sondern die in der Überfülle des Bestehenden etwas Besonderes ausfindig machen, auf das sie dank des Nimbus, den sie als Künstler besitzen, aufmerksam machen, ja das sie wie Entdecker einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren können. Künstler so Groys sind insofern die besten Konsumenten, weil sie von anderen Produziertes am besten schätzen und würdigen können, ja weil sie (ähnlich einem Trendscout) neue Dinge, ungewöhnliche Produkte, aber auch besondere Inszenierungen aufspüren und darin schließlich ihre eigene Originalität unter Beweis stellen.
So lag es also durchaus nahe, daß Stephanie Senge und Rupert Hofmann sich als Künstler bewußt als Konsumenten verhalten haben. Doch wäre es gerade kein originelles Konsumieren gewesen, nur das, was in Läden ohnehin schon an Waren angeboten wird, anzuschauen und davon eine Auswahl zu treffen; vielmehr erschien es den beiden viel interessanter, eigens auf das zu achten, was beim Einkaufen oft viel zu kurz kommt; dies sind die Läden selbst, ihre Architektur, ihre Inszenierungsstrategien, ihr Umgang mit dem Raum, mit Materialien in der Einrichtung, aber auch mit visuellen, akustischen, haptischen Elementen. Das alles prägt die Atmosphäre, in der man einkauft, bestimmt auch darüber, ob man in eine Kauflaune, gar einen Kaufrausch gerät oder aber eher ermüdet und zum Konsummuffel wird, ist jedoch fast nie selbst Thema des Gesprächs über Läden oder Einkaufsmöglichkeiten.
So war es für die beiden Künstler eine spannende Aufgabe, die Läden zu suchen, die am interessantesten mit ihrem Raum umgehen, ja die es am ehesten verdienen, mit dem Label 'Kunst' versehen und (wie heute) einem Kunstpublikum vorgeführt zu werden. Über Monate hinweg suchten Stephanie Senge und Rupert Hofmann rund 300 Läden in München auf, die alle, um eine bessere Vergleichbarkeit herzustellen, der Mode- und Textilienbranche angehören. Sie untersuchten, welche Läden Kriterien erfüllen, die sonst bei der Beurteilung von Kunstwerken eine Rolle spielen: Innovativität, Mut zum Risiko, Konsequenz, Klarheit, Individualität dies sind nur einige der Kategorien, die hier genannt werden könnten.
Nachdem sie eine Vorauswahl getroffen hatten, mit den Verantwortlichen der Läden auch Kontakt aufgenommen hatten, um Näheres über das jeweilige Einrichtungskonzept zu erfahren, stellten Stephanie Senge und Rupert Hofmann rund ein Duzend Läden einer Jury vor. Warum aber überhaupt noch eine Jury, wenn doch die Künstler selbst schon die besten Konsumenten sind?
Hier ging es nochmals um eine Umkehrung sonst üblicher Mechanismen: Wie Künstler sonst nur Bittsteller sind und nicht diejenigen, die bewußt auch etwas geben und verleihen können, sind Künstler sonst auch Thema, Gegenstand und nicht selten Opfer von Jurys, ja unterliegen den Reglements und Gruppendynamiken, die hierbei zum Tragen kommen. Es ist also ein weiterer Akt der Selbstbehauptung, wenn nun Künstler ihrerseits eine Jury einsetzen und mit Läden jemand bzw. etwas beurteilen lassen, von dessen Sponsorengeldern oder anderer materieller Unterstützung sie sonst oft abhängig sind.
Es ging aber auch darum, mit einer Jury, deren Mitglieder dem Kunstbereich entstammen, sicherzustellen, daß tatsächlich Läden prämiert werden, die in ihren Inszenierungsstrategien der Kunst nahestehen. Dieser Jury gehörten Dr. Bernhart Schwenk von der Pinakothek der Moderne, Prof. Dr. Franz Liebl von der Universität Witten/Herdecke, die beiden Künstlerinnen Uli Aigner und Stephanie Trabusch sowie ich an.
Es war eine der spannendsten Jury-Sitzungen, die ich in den letzten Jahren miterlebte! Spannend, weil sich zeigte, daß es gar nicht so einfach ist, auf Ladenräume die Kriterien der Kunst anzuwenden. Z. B. sind wir so sehr daran gewohnt, in einem Laden nur auf die Waren zu achten, daß es schwer fällt, davon zu abstrahieren und einer Ladenarchitektur etwa auch dann etwas abzugewinnen, wenn man die Produkte selbst nicht sonderlich verlockend findet oder umgekehrt noch die Mängel einer Inszenierung zu erkennen, wenn man sich eigentlich schon in ein Hemd oder Kleid verliebt hat, das gerade angeboten wird.
Auch wurde deutlich, wie stark das Image, das ein Laden oder erst recht eine Marke bzw. Kette hat, schon die Erwartungshaltung und den Blick formatiert. Einen Markenladen mit edlem Image betritt man ohnehin ähnlich wie eine Galerie oder ein Museum, ist darauf eingestellt, sich darin erhaben zu fühlen; umgekehrt nimmt man an, in einem Laden mit weniger exklusivem Image nichts Besonderes vorzufinden. Wir, die Jurymitglieder, mußten uns also zuerst von der Macht der Images emanzipieren und uns immer wieder gegenseitig daran erinnern, daß wir die Formensprache eines Einrichtungsdesigns, die Inszenierung von Räumen, die Materialwahl von Verkaufsmobiliar und nichts sonst beurteilen wollten und sollten!
Bald wurde auch klar, daß es unmöglich gewesen wäre, aus den Läden der Endrunde einen ersten und einzigen Preisträger zu bestimmen; vielmehr waren die zur Diskussion stehenden Läden, die wir noch gemeinsam aufsuchten, so unterschiedlich, daß eine Vergleichbarkeit keineswegs gegeben war. Dafür bemerkten wir, daß es möglich war, gerade aufgrund der Kriterien der Kunst, mit denen wir operierten, eine Dreiteilung vorzunehmen: So gab es Läden, die besonders konsequent in ihrer Inszenierung sind, die mit Mitteln der Architektur, mit klaren Formen, entschiedener Materialauswahl, auch mit hochwertigen Materialien arbeiten kurzum: die nach Kriterien überzeugen können, die innerhalb der Kunst mit dem Label 'klassisch-modern' versehen werden.
Demgegenüber gibt es Läden, deren Outfit an Konzepte der Pop-Art erinnert, wo also Elemente aus der alltäglichen Lebenswelt auf einmal zu Accessoires einer Verkaufslandschaft werden oder wo mit Kontrasten, mit Spielarten der Ironie gearbeitet wird.
Schließlich fielen uns Läden auf, die jenseits aller Moden und klassifizierbaren Stile ein ganz individuelles Formklima entwickelt haben die beinahe Gesamtkunstwerke, große Installationen sind, vielleicht sogar ohne Rücksicht auf ein Maximum an Profit angelegt wurden, ja Ausdruck persönlicher Vorlieben ihrer Eigentümer sind. Diese Läden faßten wir unter der Kategorie 'experimentell'.
So konnte die Jury also drei Preise verleihen und heute dürfen sich drei Münchner Läden im Glanz der Kunst erstrahlen sehen, gewürdigt von einem Publikum, das gespannt darauf ist, wie es den Blick verändert, wenn man einen Ort, an dem man sonst 'nur' einkaufen kann, auf einmal daraufhin betrachtet, wie er sich als ein Stück Kunst macht.
Stephanie Senge und Rupert Hofmann führen Ihnen das nun gleich vor und begründen, warum dieser Laden hier eine besondere Qualität besitzt! Davor sei aber noch darauf hingewiesen, daß es auch nächstes Jahr wieder einen Preis für Konsumräume geben soll, dann in einer anderen Branche und vielleicht auch über München hinaus. Immerhin war die Freude der Preisträger über die Auszeichnung in diesem Jahr so groß, daß sich die beiden Künstler zu einer solchen Fortsetzung bzw. Wiederholung ermutigt fühlen!
Wolfgang Ullrich