Kunst rezipiert Konsum; Konsumräume zitieren Kunsträume
Dass die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst weniger streng verlaufen als früher, gilt gerade auch für Kunst und Konsum. Längst übernimmt die Kunst Elemente aus dem Konsumbereich, Nähen werden gesucht und Analogien ergeben sich. Doch auch im Konsumbereich kommen Strategien aus der Kunst zur Anwendung und ästhetische Merkmale aus dem Bereich von Galerien, White Cube und modernen Installationen werden von vielen Läden übernommen.
War lange die Kunst der Musterbereich für Wertschätzung, haben nicht zuletzt der Markenkult und Vorgehensweisen der Inszenierung und Auratisierung Konsumkontexte aufgewertet. Da keine ideologisch-strikte Trennung mehr möglich ist, ist es an der Zeit, dieses Phänomen ernst zu nehmen!
Kunst für Konsum beleuchtet Konsumräume mit den gängigen Kriterien von Kunstjuries. Bei Streifzügen durch Kaufhäuser und die Warenwelt legen wir dabei denselben Blick an, den wir aus dem Kunstkontext vom Besuch in Ausstellungen und Museen gewöhnt sind.
München 2003
Mit unserem Projekt stießen wir auf große Resonanz, und es entwickelte sich eine spannende und angeregte Diskussion sowohl am Jurytag als auch bei den Preisvergaben. Diese führten wir wie Vernissagen in den Läden der Gewinner der drei Kategorien „klassisch-modern“, „Pop“ und „experimentell“ durch.
Die Idee, die Münchner Kunstszene zur Vernissage in Münchner Konsumräume einzuladen und Installationen und Bilder aus Konsumräumen mit denen in Museen und Galerien zu vergleichen, regte dazu an, die Kriterien und den Blick, mit dem aktuelle Kunst momentan wahrgenommen wird, grundsätzlich neu in Frage zu stellen. Es machte dem Publikum viel Spaß, an einem Abend drei verschiedene, jeweils gute Konsumräume wie Galerien wahrzunehmen und zu diskutieren.
Nach dem Besuch von 300 Münchner Modeläden, die wir nach Kriterien der Kunst untersucht hatten, bildeten wir eine Vorauswahl von elf Läden. Gefragt wurde nach Konzept, schlüssiger Raumgestaltung, Farbaufbau, Interaktionsprozessen (etwa indem der Kunde teils durch Kauf in den gestalteten Raum eingreift), Einsatzart des Logos u. anderer Corporate Design-Elemente, Vernetzung mit externen Kontexten etc.
Die Preisträger sollte aus dieser Vorauswahl eine Kunstjury festlegen. Unsere Jury aus Kulturwissenschaftlern, Künstlern und Kuratoren setzte sich aus Persönlichkeiten zusammen, die wichtige Bindeglieder im Kunstkontext sind, reiche Juryerfahrung haben und aufgrund ihrer speziellen und aktuellen Interessengebiete gleichzeitig unterschiedliche Blickwinkel einbringen konnten.
Die Jury 2003 stellten Uli Aigner (Bildhauerin, München), Prof. Dr. Franz Liebl (Kultur- und Marketingwissenschaftler Universität Witten-Herdecke), Dr. Bernhart Schwenk (Kurator, Pinakothek der Moderne München), Stephanie Trabusch (Malerin, München) und Prof. Dr. Wolfgang Ullrich (Akademie für Bildende Künste Hamburg).
Die Diskussion zwischen den Juroren bei und nach dem Rundgang durch die vorausgewählten Konsumräume wurde ein besonders fruchtbarer Teil des Projekts. Obwohl all unsere Juroren sehr in ihre Arbeit eingebunden sind, sagten sie bereits zu, beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder dabei sein zu wollen.
Nach anfänglichem Zögern gegenüber einem aus Sicht der Firmen nicht-kontrollierbaren Kunstprojekt kam unser Konzept bei den Modefirmen gut an, wie sich u.a. an der opulenten Gestaltung und professionellen Ausrichtung der Preisverleihung (Vernissage) von Kookai (Preisträger in der Kategorie „klassisch-modern“) und apartment 20 („Pop“) sowie bei der sehr individuellen Ausführung im Tiger Store („experimentell“) sehen ließ.
Uns ist es wichtig, als Künstler einen Preis an eine Branche zu vergeben, die die Nähe zur Kunst gerne sucht und auch von dieser als Instanz ernst genommen wird. Wir haben uns dafür entschieden, weiterhin Räume der Modebranche zu prämieren. Bei der Modebranche handelt es sich in besonders hohem Maß um eine Kristallisationsfläche von Inszenierungen, Selbst- und Fremdkonzepten und Sehnsüchten. Sie umgibt daher in ihren Präsentationswelten die Konsumenten und Rezipienten mit unterschiedlichsten Raum-, Form-, Farb-, Vernetzungs- und Interaktionselementen.
Wir planen, weitere Preise in Städten, die in der Modebranche eine tragende Rolle spielen, zu vergeben. Nach München wollen wir uns Mailand, Antwerpen, Tokio, Paris, London, New York, Los Angeles und Dubai vornehmen.